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ASSESSMENTS

Assessments - Jury - © Andreas Hartmann
Assessment - blau - ©Andreas Hartmann
Assessments - Luzia Schelling  - ©Andreas Hartmann
Assessment - Topfschlagen - ©Andreas Hartmann
Assessment - Helme - ©Andreas Hartmann
Assessments - Boden - ©Andreas Hartmann
Assessments - Schlägerei - ©Andreas Hartmann

Sind wir gut genug? Für den Titel, den Job, die EU, den Partner, die Erde, die Zukunft? Kurz: Sind wir gut genug für diese Welt?

Die Assessoren von Theater ASPIK gehen dieser Frage nach und stellen sich dabei selbst auf die Probe. Mit grenzenloser Einsatzbereitschaft, viel Selbstüberschätzung und Stressresistenz stürzen sie sich in ein Testverfahren, das der Abwärtsmobilität den Kampf ansagt. Um Schwachstellen und Entwicklungsfelder der Prüfungskandidaten herauszufiltern, müssen diese im Assessment Center unter Zeitdruck Aufgaben bewältigen, Stellung beziehen und Intimitäten preisgegeben. Denn bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt! Und dort ist kein Platz für Träumer und Drückeberger. Also: Haben Sie noch etwas zu verbergen oder sind Sie schon bereit für die Change-Kultur?

Ausgehend von dem zwar umstrittenen, aber weit verbreiteten Personalauswahlverfahren Assessment Center (AC) beschäftigt sich diese Inszenierung von Karl-Heinz Ahlers mit der Frage nach Persönlichkeit und Würde in unserer Informationsgesellschaft. 

Ständig sind wir Bewertungssystemen ausgesetzt. Wir geben Bewertungen ab, wir werten uns selber aus, wir erhalten tasks und versuchen uns skills anzueignen, um privat und im Job connected zu bleiben ... Das Spiegel-kabinett dieser Dauerinspektion ist mehr als eine tagtägliche Belastungsprobe: Es verändert unser Verständnis von Identität, bis sich die gute alte Privatsphäre in der allseits eingeforderten Transparenz auflöst.

Im AC soll eine künstliche Testsituation die tatsächlichen Fähigkeiten sowie die Stressresistenz der Prüfungs-kandidaten offenbaren, indem diese mit so genannten Fragebatterien konfrontiert werden.

 

Die AC-Methode

Das Assessment Center ist ein Instrument der Personal-auswahl, das nach dem 1. Weltkrieg im Auftrag des deutschen Reichswehrministeriums an der Berliner Universität entwickelt wurde. Das Verfahren sollte es ermöglichen, unter den Offiziersanwärtern die fähigsten Kandidaten für eine militärische Karriere auszuwählen, und zwar erstmals unabhängig von Familientradition und sozialer Herkunft. Da die Siegermächte durch den Versailler Vertrag den Generalstab aufgelöst und die Stärke der Armee auf 100'000 Mann mit maximal 4000 Offizieren limitiert hatten, konnte und wollte sich das angeschlagene Militär keine untauglichen Führungs-kräfte mehr leisten. So wurde1920 in Berlin eigens ein psychologisches Forschungszentrum eingerichtet, um ein möglichst effizientes Auswahlverfahren zu entwickeln.

 

In der modernen Arbeitswelt, besonders in Deutschland, ist die AC-Methode immer weiter entwickelt worden. AC's werden zwar immer wieder kritisiert, gelten aber längst als selbstverständliches Instrumentarium im Personalmanagement, um Schwächen und Fähigkeiten von Menschen schnell und zuverlässig "herausfiltern" zu können. Die dabei entstehende, Stress auslösende Überforderung wird bewusst herbeigeführt, um die Belastbarkeit der Bewerber auf die Probe zu stellen. Stress führt beim Menschen wie beim Tier zu einer von zwei möglichen natürlichen Reaktionen: Angriff oder Flucht, Rückzug oder Aggression. In der virtuellen Versuchsanordnung des AC wird ausgelotet, wer zu welchem Zeitpunkt zum Angriff übergeht oder die Flucht ergreift: Je später diese Reaktionen eintreten, desto stressresistenter ist der Kandidat.

Was können wir wissen?

Immanuel Kant hat seine erkenntnistheoretische Lehre (Kritik der reinen Vernunft, 1781) auf die Frage nach der Grenze des für uns Erkennbaren begründet: "Was kann ich wissen?"

Tatsächlich läuft auch die Auseinandersetzung mit dem modernen Bild des gläsernen Menschen auf die Frage hinaus, wie verwertbar die in einem AC abgefragten Informationen tatsächlich sind. Was sagen Ergebnisse einer künstlichen Versuchsanordnung über das Wesen, die wirklichen Qualitäten und Schwachpunkte eines möglichen Mitarbeiters im realen Alltag der Arbeitswelt aus? Was sagt mein Facebook-Eintrag tatsächlich über mich aus? Wer ich bin? Oder eher, wer ich sein will und wie mich andere sehen sollen?

 

CREDITS

Regie: Karl-Heinz Ahlers | Musik: Roman Keller | Ausstattung: Elena Anatolevna 

von und mit: Luzia Schelling, Florian Brandhorst, Arnd Heuwinkel, Michael Wenzlaff

Gefördert durch das Land Niedersachsen, Stiftung Niedersachsen und Stiftung Weinhagen Hildesheim

 

TERMINE

 

Assessment - Michael Wenzlaff - © Andreas Hartmann
Assessments - Arnd Heuwinkel - ©Andreas Hartmann
Assessments  - Florian Brandhorst - ©Andreas Hartmann

PRESSESTIMMEN

 

aus "SCHÖNE NEUE ARBEITSWELT – Die Vorstellungsrunde als brutaler Kindergeburtstag: Theater ASPIK unterzieht sich launigen Assessments"

(...) Die vier Schauspieler werfen das Licht auch in Persönlichkeitsecken, in denen noch kein Therapeut gekehrt hat. Im Theaterhaus untersuchen sie eine Situation, die per se schon etwas Theatrales hat: Das Assessment-Center, eine der Haupterrungenschaften der schönen, neuen Arbeitswelt (...). Unter der Regie von Karl-Heinz Ahlers wird gnadenlos getestet und interviewt, provoziert und konkurriert. Rituale, Codes und Spielchen dieser Welt werden zur Farce, in einem ebenso minimalistischen wie kühlen Bühnenbild, in dem selbst die leeren Rahmen  an der Wand Repräsentanten eines Lifestyles sind. Hier geht es um das Ausstellen der Oberfläche, unter der die Würde der Probanden verschüttet liegt. Floran Brandhorst, Arnd Heunwinkel, Luzia Schelling und Michael Wenzlaff sitzen anfangs mit professioneller Gesichtsglätte hinter einem Tisch, feuern mit teuer aussehender Business-Klamotte ihre Persönlichkeitsinquisition an und kommentieren auf süffisante Weise die Fragen der anderen: war das vielleicht doch zu hart? Zu intim? Zu schwierig? Macht alles nichts, denn wer fragt, der kann nicht befragt werden. Doch der Kniff dieses Kammerspiels ist, dass die Inspektoren selbst zu Objekten der Inspektion werden – in einem Wechselspiel, das die wirklich große Stärke dieser Inszenierung hervorbringt: Die schlafwandlerische Bühnensicherheit der Schauspieler, die binnen weniger Minuten Charaktere schaffen.(...)

Stephanie Drees, Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 8.11.2012              

                                                                                                  

aus "WIDERSINNIGE PERSONALAUSWAHL"   

(...) Tastengeräusche, ein außerirdisches Faxsignal, grelles Licht, vier unsichere Personen, und jede von ihnen hat eine Minute Zeit, um sich vorzustellen – willkommen im Assessment Center! Unzählige Fragen, schnell hintereinander werden sie gestellt, wirken wie ein Beschuss des Publikums. Inmitten der Zuschauer fühlt man sich, als wäre man selbst im Auswahlverfahren – oder auf der Anklagebank. Demütigende Aufgaben kommen hinzu: Fragebögen ausfüllen ohne Unterlage, Opernarien singen oder "Topfschlagen" spielen und dabei Fragen beantworten. Wer ist noch Freund, wer ist schon Feind? Beängstigend, entwürdigend der Eingriff in die Privatsphäre, und erschreckend die Bereitschaft, alles auf sich zu nehmen für eine Arbeitsstelle. Die Charaktere der vier Assessoren, die zwischendurch zu Prüflingen werden, reichen von der siegessicheren Karrieristin Luzia Schelling, die in ihrem energischen Spiel überzeugt, bis zum verwirrten, überforderten Beamtentypen Florian Brandhorst, der seine Rolle ebenso glaubhaft präsentiert. Den Höhepunkt des Abends bildet die "Die Reise nach Jerusalem": Die Befrager jagen um einen Stuhl herum, es wird gezerrt und geschubst, bis alle aufeinander losgehen, während die Befragung weitergeht. Gesellschaftskritik ist das grundlegende Thema in diesem selbst entwickelten Stück. Die Methode der Darbietung ist die Komik. Ein amüsiertes Publikum ist die Folge.
Eva Erdmann, Neue Braunschweiger Zeitung, 10.10.2012